Erstellt am: 05.05.2022
Dem Verlangen eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers nach einem „leidensgerechten“ Arbeitsplatz muss ein Arbeitgeber nicht nachkommen, sofern - auch nach durchgeführtem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) - nicht ersichtlich ist, woran der Arbeitnehmer leidet. Denn in diesem Fall kann nicht festgestellt werden, wie ein leidensgerechter Arbeitsplatz aussehen müsste.
Sachverhalt
Der langjährig betriebszugehörige Arbeitnehmer war seit vielen Monaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Im Zuge des BEM zeigten sich bei ihm zwar krankheitsbedingte Einsatzeinschränkungen. Die mit dem bisherigen Arbeitsplatz in der Produktion verbundenen Tätigkeiten des Arbeitnehmers waren nach Einschätzung des Werksarztes aber mit seinen Einsatzeinschränkungen vereinbar. Dennoch behauptete der Arbeitnehmer, wegen der mit den Tätigkeiten für ihn verbundenen Schmerzen dauerhaft nicht mehr dazu in der Lage zu sein, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Es gebe anderweitige, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten beim Arbeitgeber, die er auszuüben bereit und in der Lage sei. Eine anderweitige Beschäftigung lehnte der Arbeitgeber ab, da die bisherige Beschäftigung bereits leidensgerecht sei. Eine Arbeitsaufnahme am bisherigen Arbeitsplatz lehnte der Arbeitnehmer ab. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem zu diesem Zeitpunkt seit rund 1,5 Jahren durchgehend arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer nach durchgeführter Betriebsratsanhörung krankheitsbedingt ordentlich. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und begehrte u.a. leidensgerechte Beschäftigung.
Entscheidung
Der Arbeitgeber hat das Arbeitsverhältnis mit der krankheitsbedingten Kündigung wirksam beendet. Denn es war für ihn völlig ungewiss, ob und ggf. wann der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleitung wieder imstande sein würde. Dem Verlangen nach einem leidensgerechten Arbeitsplatz musste der Arbeitgeber nicht nachgehen. Eine medizinische Ursache für die vom Arbeitnehmer behaupteten Schmerzen war nicht ersichtlich. Daher waren (objektive) Feststellungen dazu, wie ein aus Sicht des Arbeitnehmers leidensgerechter Arbeitsplatz ausgestattet sein müsste, nicht möglich. Das Interesse des Arbeitgebers, das weitgehend sinnentleerte Arbeitsverhältnis zu beenden, überwog das Vertragsfortführungsinteresse des Arbeitnehmers.
Die Klage des Arbeitnehmers wurde daher vom Arbeitsgericht Stuttgart abgewiesen. Seine Berufung beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg und seine anschließende Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht hatten keinen Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hob wörtlich hervor, dass ein Arbeitnehmer nicht den Einsatz auf einem ihm missfallenden Arbeitsplatz verhindern bzw. auf einem ihm zusagenden Arbeitsplatz erreichen kann, indem er die Arbeitsleistung auf ihm nicht zusagenden Arbeitsplätzen mit der bloßen – durch keine objektiven Umstände belegten – Behauptung, die Erbringung der Arbeitsleistung verursache bei ihm unerträgliche Schmerzen, ablehnt. Ansonsten wäre es einem Arbeitnehmer möglich, sich letzten Endes seinen Wunscharbeitsplatz auszusuchen.
Hinweis
Sofern Krankheitszeiten eines Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dessen aktueller Beschäftigung stehen, hat der Arbeitgeber grundsätzlich - üblicherweise im BEM - auch zu prüfen, ob eine anderweitige leidensgerechte Beschäftigung für den betroffenen Arbeitnehmer infrage kommt, bevor er eine krankheitsbedingte Kündigung ausspricht. Dies folgt aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus § 214 Abs. 2 BGB. Andernfalls droht die Kündigung unverhältnismäßig und daher unwirksam zu sein. Zu prüfen ist insoweit, ob der aktuelle Arbeitsplatz mit zumutbaren Mitteln leidensgerecht umgestaltet werden kann oder ob der Arbeitsnehmer auf einem anderen gleichwertigen Arbeitsplatz leidensgerecht beschäftigt werden kann. Eine gesetzliche Definition des leidensgerechten Arbeitsplatzes existiert nicht. Leidensgerecht ist ein Arbeitsplatz jedenfalls dann, er keine negativen Auswirkungen auf den gesundheitlichen Zustand des Arbeitnehmers hat und - aus kündigungsrechtlicher Sicht - Arbeitsunfähigkeitszeiten verhindert oder vermieden werden. Ist der betroffene Arbeitnehmer schwerbehindert, hat er aus § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX noch weitgehendere Rechte.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.05.2022 - 3 Sa 30/21 - rechtskräftig