Erstellt am: 23.03.2023
Bei Anwendbarkeit des Manteltarifvertrags für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg (MTV) kann eine vereinbarte verlängerte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf Wunsch des Beschäftigten oder des Arbeitgebers einseitig verringert werden. Dies gilt auch in den Fällen, in welchen dem Beschäftigten der Verdienst bereits tariflich gesichert ist (Alterssicherung).
Sachverhalt
Der mit dem Arbeitnehmer im September 1992 abgeschlossene Arbeitsvertrag enthielt eine Regelung, wonach die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers derzeit 40 Stunden beträgt, und im Übrigen - auch für Mehrarbeit - die gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Bestimmungen gelten. Zusätzlich enthielt dieser Arbeitsvertrag die Regelung, wonach im Übrigen die gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen, die Arbeitsordnung und die sonstigen Betriebsvereinbarungen, die Richtlinien sowie die Anweisungen der Firma in der jeweiligen Fassung gelten.
Der Arbeitnehmer hatte dementsprechend seit Oktober 1992 nahezu ausschließlich in einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden gearbeitet.
Seit dem 01. Juni 2019 befand sich der Arbeitnehmer in der sogenannten tariflichen Verdienstsicherung (Alterssicherung). Der Alterssicherungsbetrag war auch unter Berücksichtigung des aus der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers von 40 Stunden resultierenden Entgelts ermittelt worden.
Im Dezember 2020 hatte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer schriftlich mitgeteilt, dass seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit mit Wirkung zum 01. April 2021 auf 35 Stunden zurückgeführt wird.
Ab April 2021 beschäftigte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer unter entsprechender Kürzung des monatlichen Alterssicherungsbetrags sodann nur noch mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Dies entsprach der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit, wie sie grundsätzlich seit 1997 in den Manteltarifverträgen der Metallindustrie in Baden-Württemberg vorgesehen ist.
Entscheidung
Die Arbeitgeberin konnte sich mit Erfolg auf die tariflichen Regelungen berufen. Durch die wirksame Bezugnahme im Arbeitsvertrag kamen die Regelungen des MTV insgesamt zur Anwendung. Damit konnte sie wie geschehen mit ihrem Schreiben von Dezember 2020 unter Wahrung der dreimonatigen Ankündigungsfrist einseitig eine Reduzierung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers mit entsprechender Anpassung seines Arbeitsentgelts vornehmen. In den Regelungen des Arbeitsvertrags war keine vorrangige Individualabrede zu sehen. Auf einen dauerhaften Einsatz im Umfang von 40 Stunden pro Woche konnte der Arbeitnehmer nicht vertrauen. Auch die bereits eingetretene tarifliche Verdienstsicherung stand der Arbeitszeitreduzierung nicht entgegen und verpflichtete die Arbeitgeberin nicht dazu, den Alterssicherungsbetrag unverändert zu gewähren. Die Arbeitgeberin war vielmehr aufgrund tariflicher Regelungen dazu befugt, den monatlichen Alterssicherungsbetrag entsprechend umzurechnen, d. h. wie geschehen zu kürzen, nachdem sich nach Eintritt der Verdienstsicherung das Verhältnis der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers zur tariflichen Arbeitszeit verändert hatte.
Die Klage des Arbeitnehmers wurde daher vom Arbeitsgericht Stuttgart abgewiesen. Seine Berufung beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte keinen Erfolg.
Hinweis
Auch der aktuelle MTV enthält diese tariflichen Regelungen zur einseitigen Reduzierung der Arbeitszeit des Arbeitnehmers mit entsprechender Anpassung des Arbeitsentgelts. Er sieht als tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen grundsätzlich 35 Stunden („normale Vollzeit“) vor. Individuell kann hiervon abweichend eine auf bis zu 40 Stunden verlängerte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit („verlängerte Vollzeit“) vereinbart werden. Die vereinbarte verlängerte Arbeitszeit kann auf Wunsch des Beschäftigten oder des Arbeitgebers nach § 8.2 MTV einseitig unter Wahrung einer Ankündigungsfrist von drei Monaten geändert bzw. verringert werden. Weitere zu beachtende Voraussetzungen gibt es insoweit nicht. Insbesondere müssen keine betrieblichen oder sonstigen Gründe für die Verringerung geltend gemacht werden. Die Verringerung steht im freien Ermessen der Arbeitsvertragsparteien. Die Änderung der Arbeitszeit tritt nach Ablauf der Ankündigungsfrist unmittelbar und ohne Mitwirkung der anderen Arbeitsvertragspartei ein. Dass diese Tarifregelung mit höherrangigem Recht vereinbar ist, hat das Bundesarbeitsgericht bereits 2009 entschieden. Beiden Arbeitsvertragsparteien wird damit insoweit ein Eingriff in die vertraglich geregelten Hauptleistungspflichten ermöglicht.
Da durch die tarifliche Verdienstsicherung (Alterssicherung) zwar älteren Beschäftigten eine finanzielle Absicherung bei altersbedingter Leistungsminderung gewährt werden soll, nicht aber die Arbeitszeit festgeschrieben wird, besteht diese Möglichkeit auch bei Altersgesicherten. Die tariflichen Regelungen des MTV sehen nicht vor, älteren Beschäftigten völlig unabhängig von altersbedingter Leistungsminderung auch bei zulässiger Arbeitszeitreduzierung auf die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden eine finanzielle Absicherung betreffend die bisherige höhere Wochenarbeitszeit zu gewähren und diese so zu stellen, als gäbe es die Arbeitszeitreduzierung nicht. Nach § 40.7 MTV ist vielmehr bei Beschäftigten, bei denen sich nach Eintritt der Verdienstsicherung das Verhältnis ihrer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit gemäß § 6 ändert, der monatliche Alterssicherungsbetrag entsprechend umzurechnen.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.03.2023 - 3 Sa 51/22 - rechtskräftig